Rezensionen zu Levante

Jazzthetik

Doris Schumacher

Windige Geschichte

„Auf Levante vollziehen die improvisierte und die notierte Musik ihren Hochzeitstanz, nur um zu beweisen, dass sie sowieso schon immer ein unzertrennliches Paar waren.

Vorweg ein kleines meteorologisches Ratespiel: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass heißer Saharawind auf seinem Weg nach Norden auf warmen Ostwind trifft, der über das westliche Mittelmeer in Richtung iberische Halbinsel strömt, und beide sich zu einem völlig neuartigen „Gebläse“ verbinden? Gar nicht so gering, sagen vier klassisch ausgebildete Saxofonisten und ein Jazztrompeter, und die müssen von Wind schließlich eine Ahnung haben. Levante heißt das neue Album des Sirocco Saxophone Quartet, zu dem es sich den Kölner Trompeter Frederik Köster eingeladen hat. Was in der Natur nicht vorgesehen ist, wird in der Kunst zur Selbstverständlichkeit – vorausgesetzt, man denkt nicht zu viel über herkömmliche Stil- oder aber auch Windrichtungen nach.

Für seine dritte CD hat das Quartett Kompositionsaufträge an vier Komponisten und Komponistinnen vergeben, die zwölf der dreizehn Kompositionen erarbeiteten. Von Frederik Köster selbst stammt der Titeltrack „Levante“, der gleich zu Beginn des Albums klarstellt, wie komplex und herausfordernd die Aufgabe ist, Jazz mit zeitgenössischer Kammermusik zu verbinden. Denn keiner der Musiker verlässt hier spieltechnisch sein gewohntes Terrain – das Ensemble hält sich an die notierte Partitur, während Köster entweder solistisch improvisierend agiert oder ebenfalls den Noten folgt, um sich dann wieder davon zu lösen. Altsaxofonistin Greta Schaller erklärt: „Jeder Komponist bekam den gleichen Auftrag: für klassisches Saxofonquartett und Jazztrompete zu schreiben. Sie hatten alle Freiheiten. Improvisationen waren allerdings nur für Frederik und Kristof, unseren Tenorsaxofonisten, der beide Stilrichtungen perfekt beherrscht, vorgesehen. So entstanden komplett unterschiedliche Werke. Manche Komponisten waren vielleicht erst überrascht, aber Begeisterung für diese außergewöhnliche Besetzung war direkt vorhanden.“

Frederik Köster hat Erfahrung mit klassisch ausgebildeten Musikern – für sein Album Homeward Bound Suite kooperierte er etwa mit dem Philharmonischen Orchester Hagen. Auf Levante begibt er sich trotzdem noch einmal in eine neue Rolle: „Ich sehe Levante tatsächlich als logische Fortführung meiner letzten beiden Alben. Der Unterschied zu Homeward Bound Suitewar, dass es nun ein kleines, flexibleres kammermusikalisches Ensemble war und nicht ein großes Orchester, d.h. es konnte noch mehr Interaktion passieren im Hinblick auf Dynamik, Tempo und Interpretation. Während ich bei Homeward Bound Suitedie Musik komplett selbst geschrieben hatte, habe ich zu Levante nur ein eigenes Stück beigetragen. Die anderen Stücke musste ich erst lernen. Gerade die Kompositionen der ,Nicht-Jazzer‘ waren so anders komponiert, dass ich auch viel aus Partituren lesen musste, um die Werke in ihrer Gänze zu begreifen. Ich wollte mich auf jede einzelne Saxofonstimme beziehen können und auch gerne entscheiden, wie sehr ich ,in‘ dem Ensemble spiele oder daraus hervorsteche. Die Grenzen von Solo und Begleitung sollten dabei teilweise verschwimmen bzw. aufgehoben werden.“

Sechs Intermezzi von Gregor Böhmerle stellen die Verbindung zwischen den sieben anderen Kompositionen her, deren Texturen von Minimal Music bis zu choralhaften Strukturen reichen. Den Saxofonisten kommt die Aufgabe zu, komplexe Partituren zu einem einheitlichen kammermusikalischen Klang zu formen. Über das klassische Spiel hinausgehende Spieltechniken rücken die notierte Musik weg von der klassischen Tradition, geben Raum für Narrative wie das einer durchtanzten Partynacht, die mit Tinnitus endet („Party Dying“ von Sophie Pope). Allen Stücken gemeinsam ist eine hohe Komplexität, eine gewisse Verspieltheit und ein Reichtum an klangfarblichen und rhythmischen Kontrasten.

Ein Trompeter, der weniger wendig und sensibel mit dem komponierten Material umginge, wäre wohl lediglich als Fremdkörper in diesem irgendwo zwischen Klassik und Neuer Musik angesiedelten Klangkosmos zu identifizieren. Mit lyrischer Kompetenz, technischer Brillanz und Ideenreichtum lässt Frederik Köster das genreübergreifende Experiment nicht nur gelingen, man fragt sich plötzlich, warum früher nie jemand auf die Idee gekommen ist, vier klassische Saxofone mit einer Jazztrompete zu paaren. So sieht es auch Köster: „Für mich klingt Levante total organisch, und die Grenzen zerfließen. Ich habe beim Hören der Aufnahmen nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, welche Elemente aus welchen Genres jetzt gerade von wem kommen.“ Und Greta Schaller: „Klassisches Saxofon ist heute so präsent, dass man sein Musikerleben komplett damit füllen könnte, ohne sich mit anderen Genres zu beschäftigen. Ich empfinde es aber als sehr wichtig, sich anderen Richtungen zu öffnen. Aber tatsächlich hätte ich vor ein paar Jahren nie daran geglaubt, mal mit einem Jazzer ein Album aufzunehmen. Jetzt im Nachhinein wirkt es sehr logisch.“

Musenblätter

Sabine Kaufmann

„“Reinrassige“ Instrumental-Formationen mit Blech- oder Holzblasinstrumenten einer Art haben einen ganz besonderen Reiz, führen sie doch vor, dass man auch unter Verzicht von Rhythmusgruppen, Streicher etc. mit sorgfältiger Abstimmung faszinierende, raffinierte klangreiche Musik zaubern kann […]
Das Sirocco Saxophone Quartet […] entwickelte im Lauf der Jahre seines Bestehens ein Crossover-Programm aus Klassik und Neuer Musik. Wenn sie sich auch bis jetzt an ihr Saxophon-Konzept gehalten haben, wagen sie sich mit ihrem neuesten Album „Levante“ bei Traumton Records an eine Grenzüberschreitung, besser: eine Ergänzung, indem sie sich mit dem namhaften Jazz-Trompeter Frederik Köster (zwei Jazz-Echos, Neuer Deutscher Jazzpreis, WDR-Jazzpreis) zusammengetan haben. Man könnte diese Formation auch „Body & Soul“ nennen, denn der eigenständige volumige Körper des Saxophon-Quartetts bekommt durch Kösters Flügelhorn, wie im Opener „Levante“, später durch den schillernden Ton seiner Trompete eine seelevolle Ergänzung.
Für das Repertoire beauftragte Sirocco bekannte Komponisten wie Sebastian Sternal und Eberhard Budziat aus seinem Umfeld und übernahm einen Titel von Ivan Lins („Comecar de Novo“). Frederik Köster selbst steuerte das Titelstück „Levante“ bei, dank seiner Sanftheit mein Lieblingsstück des Albums neben den witzigen kleinen „quark“-Intermezzi, die sämtlich Gregor Böhmerle verfasste, die nun auf der CD Verbindung zwischen den größeren Werken herstellen. Böhmerle hatte in Stuttgart Kontakte zur jungen Sophie Pope und dem etablierten Eberhard Budziat. Der von Kristof Dömötör angesprochene Itai Sobol kannte wiederum Köster aus gemeinsamen Studientagen, der wiederum in Sebastian Sternal einen bewährten Mitspieler hatte. Einige Tonsetzer lieferten auch Noten für den Trompeter, andere ließen dessen Rolle komplett offen. Er habe dennoch stets die Partitur für das Quartett mitgelesen, sagt Köster, weil dort vieles ausformuliert sei, auf das er punktuell Bezug nehmen, das er als Ausgangspunkt für die Band-interne Kommunikation oder eigene Improvisation nutzen konnte. Ein gelegentlich experimentelles Album, dessen Verkostung lohnt.“

JAZZthing & blue rhythm
(Ausgabe 130)

Rolf Thomas

„Das Sirocco Saxophone Quartet ist eigentlich ein klassisches Saxofonquarertett, das vor gut zwölf Jahren in London gegründet wurde. Auf dem neuen Album „Levante“ (Traumton/Indigo) kommt mit der Trompete nicht nur ein artfremdes Instrument hinzu, sondern mit dem Trompeter Frederik Köster vor allem ein Jazzmusiker, der die Welt des Ensembles durcheinanderwirbelt und somit für eine erfrischende Form des Etikettenschwindels sorgt, denn das Saxofonquartett wird zum Bläserquintett. […]

Gründungsmitglied Schaller hatte den Trompeter schon vor zehn Jahren kennengelernt, ihr Bruder Thilo war als Tontechniker an Aufnahmen von Köster beteiligt und nun auch für „Levante“ als Tonmeister tätig. Die Kompositionen stammen aus dem Umfeld des Ensembles — darunter Eberhard Budziat, aber auch Bandmitglied und Baritonsaxofonist Gregor Böhmerle, der eine Reihe Intermezzi schrieb — und bieten Köster jede Menge Stoff für halsbrecherische Ausflüge. […]“